Das unsichtbare Schlachttier

Die Fähigkeit des Menschen, sich in andere Lebewesen hineinzuversetzen, führt oft zum sogenannten Anthropomorphismus: Menschliche Eigenschaften werden den Tieren zugesprochen. So präsentiert uns unsere Katze „stolz“ die erlegte Maus. Auf der anderen Seite entspricht dieses Beutetier mit großen, dunklen Augen und abgerundetem Kopf dem „Kindchen Schema“ und wir empfinden Mitleid. 

Neben unseren Hormonen hat auch unsere Genetik Einfluss darauf, vor welchen Tieren wir in Panik geraten und welche wir als niedlich ansehen. Und unsere Kultur bestimmt, welche Tiere wir essen. Während bei den Hindus in Indien Rind tabu ist, gilt bei Moslems und Juden Schwein als nicht akzeptabel, und bei den Massai in Afrika gibt es sogar ein Fischverbot. Anderorts werden wiederum Insekten, Flamingozungen, Elefantenzehen oder auch Hunde gegessen. Bei uns geht der Trend weg vom massenhaften Fleischkonsum und immer häufiger wird gefragt, ob es überhaupt ethisch vertretbar ist, Tiere wegen ihres Fleisches zu töten. Da wir jedoch dazu neigen, unsere Gedanken und Wünsche auf andere zu übertragen, geraten alle, die nicht nur Pflanzenfresser, wie Pferde oder Kaninchen halten, jetzt in einen Gewissenskonflikt. 

Der Markt reagiert schnell und schon gibt es die ersten vegetarischen und sogar veganen Futter für Hunde und sogar Katzen. Ganz davon abgesehen, dass dies keine artgerechte Ernährung für unsere vierbeinigen Freunde darstellt, sollte man sich hier die Frage stellen, ob Pflanzen nicht auch Lebewesen sind die eine Seele haben, Schmerz verspüren und sich wehren. So oder so, wer überleben will muss töten. Also muss die Antwort in eine andere Richtung gehen. In Richtung Verantwortung für das Leben.

Bei unseren Heimtieren gelingt uns diese Verantwortung für das Leben glücklicherweise meist leicht. Wir können uns in ihre Bedürfnisse hineinversetzen und versuchen, sie zu erfüllen. Fütterung, Beschäftigung, Schlafplätze und -zeiten und vor allem viel Zuneigung, das erwarten unsere Lieblinge von uns, und das bekommen sie auch. Im Austausch erhalten wir einen festen Lebenspartner, der unsere Einsamkeit vertreibt, ein Freizeitpartner ist, soziale Kontakte erleichtert, unseren Alltag strukturiert und uns fit hält. Manchmal treibt unser Hang zum Anthropomorphismus auch seltsame Blüten und dann ziehen wir unseren Tieren herzige oder sportliche Pullover an – je nach Veranlagung des Besitzers, kaufen ihnen Strass besetzte Halstücher und sprechen von „Heinerle ist beleidigt, weil er heute sein Leberwurstbrötchen noch nicht hatte“. Überhaupt geben wir unseren Tieren immer häufiger Menschennamen und niemand würde auf die Idee kommen, dass es Heinerle, Paul oder Lotta zuzumuten wäre, in ihrem eigenen Kot zu schlafen. Das aber erwarten wir von Tieren, deren Intelligenz sogar höher ist als die unserer kleinen Lieblinge: von Schweinen.

Wir unterscheiden zwischen Heim- und Nutztieren. Damit uns diese rein kulturell bedingte Degradierung von Lebewesen als reine Fleischlieferanten auch gelingt, schauen wir nicht hin. Je weniger wir wissen oder sogar sehen, desto einfacher gelingt es uns, erst gar keine Bindung entstehen zu lassen. Wer von uns könnte schon ein Tier aufziehen, töten und dann verfüttern. Doch damit auch diese Tiere ein gutes Leben und einen stressfreien Tod haben, müssen wir hinschauen und Verantwortung übernehmen. Wie und wo wird das Ferkel, das Kalb, das Lamm geboren? Unter welchen Bedingungen lebt es? Sieht es jemals Tageslicht? Können die Jungtiere auch spielen, und gibt es Beschäftigungsmöglichkeiten auch für adulte Tiere? Wie viel Fläche steht jedem Tier zur Verfügung? Wie ist der Schlafplatz beschaffen? Und wenn sie vielleicht auch nicht geliebt werden – bekommen diese Tiere den respekt- und würdevollen Umgang, den sie umso mehr verdient haben, da sie für uns sterben müssen? Tierliebe kann nicht beim Heimtier enden.